qanuun-aktuell Februar 2019
von Rechtsanwältin Dr. Stefanie Lejeune
Die Aufforderung, ich solle bitte „die Kirche im Dorf lassen“ erreicht mich häufiger dann, wenn ich in Fortbildungsveranstaltungen auf die relativ niedrige Strafbarkeitsschwelle der Vorteilsannahme hinweise, insbesondere im Zusammenhang mit dem sog. „Anfüttern“. Man müsse ja wohl noch „nett und freundlich“ zueinander sein können, ohne dass gleich der Staatsanwalt eingreifen würde. Dem stimme ich zu, schließlich liegt es mir fern, das soziale Gefüge mittels Schwarzmalerei durcheinander zu bringen. Allerdings beschlich mich anschließend die Frage, wie freundlich wir denn wirklich zueinander sind.
So ließ mich die Nachricht, die ich neulich unter der Rubrik „Aufgelesen“ in einer Berliner Tageszeitung gelesen habe, aufhorchen. In Vietnam sind fortan Komplimente am Arbeitsplatz verboten; Zuwiderhandlungen werden mit Disziplinarmaßnahmen sanktioniert. Auch wenn der Ausgangspunkt wohl vor allem im Öffentlichen Dienst übertriebenes Anbiedern beim Vorgesetzten war, will man jetzt in Hanoi unter dem Gesichtspunkt Integrität den Arbeitsplatz von den übrigen Lebensbereichen verhaltenstechnisch trennen.
Abgesehen davon, dass Komplimente hierzulande nicht unter den strafrechtlichen Vorteilsbegriff fallen, ganz gleich wer sie macht, zeigt dieses Beispiel, wie groß kulturelle Unterschiede sein können. Ist es überhaupt vorstellbar, dass in Deutschland Komplimente – auch die unaufrichtigen – derart häufig gemacht werden, dass sie Anknüpfungspunkt für eine Sanktion sind? Betrachten Sie bitte Ihren Alltag, und dann zählen Sie am Ende des Tages die Komplimente, die Sie gemacht haben und die Ihnen gemacht wurden. Vielleicht sind die Umgangsformen in Vietnam – ausgenommen am Arbeitsplatz – künftig durchaus überlegenswert…
Dr. Stefanie Lejeune ist Präsidentin des Vereins qanuun – Institut für interdisziplinäre Korruptionsprävention in der Verwaltung e.V. In jeder Ausgabe des Infobriefs qanuun-aktuell kommentiert sie aktuelle Entwicklungen rund um die Themen Compliance und Korruptionsprävention.