qanuun-aktuell September 2018
von Rechtsanwältin Dr. Stefanie Lejeune
Mitte August erschien in der ZEIT eine Liste von hundert Werken, vor allem Bücher, die der Mensch des 21. Jahrhunderts kennen sollte. Von Ästhetik bis Religion wurde Vieles genannt, von dem – bei guter Allgemeinbildung – das meiste bekannt sein dürfte. Was aber sagt diese Liste über unsere Kultur und Rechtsverständnis aus? Kann man mit einer Kurzfassung der Bibel und dem Grundgesetz den mitteleuropäischen Wertekanon von Staat und Gesellschaft wirklich verstehen? Zweifel sind erlaubt und auch berechtigt. Das Alte Testament mit einem stets zürnenden Gott, ist dem modernen aufgeklärten Menschen fremd, aber ohne dieses ist das Neue nicht zu verstehen. Und auch das Grundgesetz, das die Würde und Freiheit des Menschen sowie seine Gleichheit beschwört, bleibt bei bloßer Lektüre abstrakt.
Ohne das grundlegende Verständnis, das nicht nur rational, sondern durch aufmerksames Vorleben vermittelt werden muss, bleibt das ethische Miteinander inhaltsleer. Warum eine unabhängige Justiz und eine kompetente sowie gemeinwohlorientierte Exekutive für einen beständigen Staat gebraucht werden und warum das Zusammenspiel zwischen allen staatlichen Gewalten wohl austariert sein muss, ist nur zu verstehen, wenn man das Gegenteil kennt, zumindest theoretisch. Umgekehrt sind Selbstverständlichkeiten ebenfalls riskant. Was immer schon gut geklappt hat, kann doch gar nicht anders sein, oder? Menschen aus Staaten, in denen Korruption an der Tagesordnung ist, können von all‘ dem ein Lied singen und sie tun es auch. Zugleich sollten wir darüber nachdenken, dass nicht alles, was wir als selbstverständlich begreifen, es auch ist. Daran ändern die Bibel und das Grundgesetz im heimischen Regal nichts.
Dr. Stefanie Lejeune ist Präsidentin des Vereins qanuun – Institut für interdisziplinäre Korruptionsprävention in der Verwaltung e.V. In jeder Ausgabe des Infobriefs qanuun-aktuell kommentiert sie aktuelle Entwicklungen rund um die Themen Compliance und Korruptionsprävention.